Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation

Die Thüringische Residenzenlandschaft gründet im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Das Reich, das eine politische Kultur des Ausgleichs und der Friedenswahrung prägte, war ein politisches Mehrebenensystem und föderal aufgebaut. Dieser Föderalismus hat bis heute überdauert. Zugleich kann dieses Reich als Vorläufer anderer föderaler Systeme verstanden werden.

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, dessen Gründung in das frühe Mittelalter zurückreicht, bildete von der Frühen Neuzeit bis zu seiner Auflösung 1806 den staatlichen Rahmen Deutschlands. Um 1500 entwickelte das Reich eine neue, modernere Struktur als politischer Handlungsverband. In der sog. Reichsreform formten sich seine zentralen Institutionen und politischen Mechanismen.     Dieses deutsche Reich der Frühen Neuzeit war weder expansiv noch eine imperiale Macht, es war strukturell nicht angriffsfähig. Voltaire scherzte, es sei „weder heilig noch römisch noch ein Reich“. Es bildete eine politische Einheit und war zugleich mit seiner Vielzahl von nicht-souveränen, heterogenen Territorien polyzentral verfasst. Deshalb sprach Montesquieu von einem Bundesstaat, einer „république fédérative d‘Allemagne“. Über ihn gelangte die Idee der vertikalen Gewaltenteilung nach dem Vorbild des Reichs in die amerikanische Verfassungsdiskussion und in die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika.

In der Regierung des Reichs wirkten der Kaiser und die Reichsstände zusammen – die Formel „Kaiser und Reich“ bringt dies zum Ausdruck. Politische Entscheidungen mussten ausgehandelt werden. Der Kaiser hatte in dieser Wahlmonarchie nur eingeschränkte Rechte, er wurde von den Reichsständen, den Kurfürsten (den vornehmsten Fürsten des Reichs), den Fürsten und Reichsstädten kontrolliert. Sie entschieden über das Ganze mit. Verschiedene Institutionen verbanden daneben das Reich: der Reichstag, die zwei gleichberechtigten obersten Reichsgerichte und die Reichskreise, eine Exekutivorganisation. Das Reich schützte die Existenz und die Regierung der Reichsstände, zugleich wies es sie in den Rahmen des Reichsrechts; Landesherrschaft und Reichsgewalt griffen ineinander. Die Territorien versuchten zwar zunehmend unabhängiger zu werden, dies gelang jedoch nur im Laufe der Zeit den größeren wie Österreich und Brandenburg-Preußen.

Das Reich leistete so einen entscheidenden Beitrag zur Friedenswahrung – nach innen wie nach außen. Der Landfriede galt als zentrale gemeinsame Aufgabe. Die rechtliche Basis legten die Reichsgrundgesetze, die bereits mit der Goldenen Bulle von 1356 angelegt waren. Das Gerichtswesen des Reichs wurde neben dem Frankreichs zu einem europäischen Vorbild. Nach zeitgenössischen Vorstellungen waren damit umfassende Freiheiten gesichert. Der Aufklärer und Weimarer Prinzenerzieher Christoph Martin Wieland lobte die Reichsverfassung, weil die Einwohner des Reichs durch den Ausgleich der Kräfte einen besonders hohen „Grad menschlicher und bürgerlicher Freiheit genießen“ und mehr als andernorts „vor allgemeiner auswärtiger und einheimischer, politischer und kirchlicher Unterjochung und Sklaverei sicherer seyn“.

Die Einwohner des Reichs konnten dieses auf unterschiedliche Weise erfahren, durch Symbole wie den doppelköpfigen Reichsadler, die Reichspost, Medienberichte oder auch die Nutzung der Reichsgerichte. Johann Wolfgang von Goethe betonte in der Rückschau, wie bei der Kaiserkrönung Josephs II. 1763 in Frankfurt am Main die Teilhabe am Reich erlebbar wurde: „Bei der Gegenwart so vieler Souveräne und ihrer Repräsentanten [erschien] die Reichsstadt Frankfurt auch als ein kleiner Souverän … Wir erfreuten uns an dem Mitgefühl dieser Ehre und an dem Hunderttausendteilchen einer Souveränität, welche gegenwärtig in ihrem vollen Glanz erschien.“ Nicht zuletzt schuf die im Reich stark entwickelte und aufgrund der territorialen Vielgestaltigkeit kaum kontrollierbare Publizistik eine politische Öffentlichkeit, in der Vorgänge im Reich wie aus anderen Teilen Europas und der Welt schnell ein Echo fanden.

Die Thüringische Residenzenlandschaft im Heiligen Römischen Reich

Die Dichte der thüringischen Residenzenlandschaft, die kleinen Territorien Thüringens und ihre vielfachen Grenzveränderungen waren typisch für das Heilige Römische Reich. Schließlich bestand es überwiegend aus mittleren und kleinen politischen Einheiten und Akteuren. Ebenso war das Reich in vielfacher Hinsicht durch Pluralismus gekennzeichnet, in seiner Kultur, in seinem Rechtssystem, in der Religion, und der Polyzentralismus führte dazu, dass sich eine Vielzahl kultureller Zentren ausbildete. Sie standen in einem produktiven Wettbewerb miteinander. Auch dafür steht Thüringen beispielhaft.

Astrid Ackermann